Die Sache mit der Meinungsfreiheit.
Manchmal lese oder höre ich etwas, mit dem ich nicht einverstanden bin, oft genug von einem Politiker oder einer anderen 'öffentlichen' Person gesagt oder geschrieben. Und dann rührt sich meine Staatsbürgerliche Seele: das kann ich doch so nicht stehen lassen und ich will widersprechen - aber wie?
Früher gab es bei uns die sogenannte Meinungsfreiheit, eigentlich das Recht auf frei Meinungsäußerung, und ich spüre noch den Impuls, meine kritische Meinung öffentlich zu äußern; aber ich tauge leider nicht zum Helden und möchte meine bürgerliche Existenz nicht aufs Spiel setzen - SEK in meiner Wohnung empfände ich als unangenehm. Ich befinde mich also in einem furchtbaren Konflikt: soll ich aus Angst 'den Mund halten' und in Kauf nehmen, dass niemand meine Kritik hört, was evtl. schwere Konsequenzen nach sich ziehen könnte? Oder soll ich mich äußern, auf die Gefahr hin zum Staatsfeind erklärt zu werden?
Das Problem liegt ganz offensichtlich darin, dass ich nicht weiß, welche Form von Meinungsäußerung einerseits geeignet ist, meine Meinung auszudrücken, andererseits aber vom Adressaten nicht als Anlass für einen vernichtenden Rachefeldzug verstanden wird. Und da bin ich auf die Idee gekommen, dass doch eigentlich der Adressat selbst am Besten weiß, was ihn gerade eben nicht triggert: der Adressat muss sich selber denken was ich ihm sagen will und das in einer Form, die er selbst so wählt, dass er sich nicht darüber aufregt. Ich sage also nicht mehr meine Meinung sondern fordere den Adressaten auf, sich meine Meinung selbst auszudenken, so dass er gerade noch damit klar kommt. Statt meiner Meinung übermittle ich nur noch einen Platzhalter für meine Meinung, als Aufforderung, diesen geeignet zu ersetzen. Und als Platzhalter benutze das Symbol X* für 'Die gerade noch zulässige, ungefährliche Meinungsäußerung'.
Betrachten wir ein Beispiele: Nehmen wir mal an, eine Person, nennen wir sie kurz Pipapo, sagt, es müsse jetzt unbedingt alles getan werden um ... Ich weiß aber, dass da ein Denkfehler drin steckt: 'alles' ist da immer falsch - aber wie sage ich das?
Würde ich als Antwort an Pipapo zum Beispiel in einem Tweet schreiben, dass Pipapo da einen Denkfehler macht, könnte das so missverstanden werden als hielte ich Pipapo für zu dumm seinen Irrtum selbst zu erkennen. Das wäre eine Tatsachenbehauptung, die ich beweisen müsste - und es wäre natürlich beleidigend und das darf auf gar keinen Fall passieren: SEK. Aber irgendwie denke ich ja schon, dass Pipapo und alle anderen wissen sollten ... was dürfte ich denn da überhaupt denken? Vielleicht könnte ich denken wollen: "Was Sie da schreiben ist aber gar nicht richtig." Wieder ein direkter Angriff und sehr gefährlich: SEK. Und jetzt greife ich zu meiner Lösung: ich schreibe ganz kompromissbereit: "Was Sie da schreiben ist X*" Und schon kann die Person einsetzen, was sie an Kritik gerade noch ertragen kann ohne sich unrechtmäßig angegriffen zu fühlen. Vielleicht liest ein Sensibelchen dann: "Was Sie da schreiben ist aber hoch interessant." Das 'aber' drückt den Widerspruch aus, den ich vermitteln möchte, ist aber nicht direkt beleidigend; Pipapo weiß jetzt was ich sagen will, wendet sich aber nicht an den Staatsanwalt - Problem gelöst, alle sind glücklich.
Ich werde darum in Zukunft an kritischen Stellen immer auf meinen Platzhalter zurückgreifen, auf 'Die gerade noch zulässige, ungefährliche Meinungsäußerung' X*.
Stand: 06.03.2025